Themenwoche – Spielorte
rÜBERBLICK – MV-Tour 08. -12. 06. 2021
MV = 23.174 km² zum Theaterspielen – Foto: Cornelia Unrauh
Die Tour durch Mecklenburg-Vorpommern mit den Delegierten der Freien Szene Saar
stand unter dem Motto „Spielorte“.
Bei Spielorten für Theater denkt man zunächst an feste Häuser, die mit Bühne, Bestuhlung, Licht- und Tontechnik ausgestattet sind.
Staats- und Landestheater entwickeln eigene Inszenierungen oder laden bevorzugt Inszenierungen von anderen staatlichen Theatern ein. Einige nutzen aber auch Auftritte von freien Gruppen und bereichern damit ihren Spielplan.
Freie Theater mit eigenen festen Spielstätten sind in M-V rar gesät, die Bühne 602 in Rostock ist ein Beispiel dafür. Hier finden regelmäßig und spartenübergreifend Gastspiele von verschiedenen Freien Künstlern statt.
Außer speziellen Theaterhäusern werden auch andere öffentliche Gebäude für künstlerische Veranstaltungen genutzt wie Mehrzweckhallen oder Gemeindehäuser. Meist gibt es Bestuhlung und manchmal eine Bühne. Voraussetzung ist eine aufgeschlossene Verwaltung sowie engagierte Einzelpersonen oder Gruppen, die entsprechende Aufführungen organisieren wollen und für die Finanzierung sorgen.
Längerfristig erfolgreich werden Spielreihen meist dann, wenn das Thema Kultur zu den entsprechenden Einrichtungen passt, das ist beispielsweise bei Bürgerhäusern und Soziokulturellen Zentren der Fall. Museen und Büchereien haben oft ebenfalls Affinitäten zu künstlerischen Events.
Die vorgenannten Strukturen finden sich hauptsächlich im städtischen Umfeld.
Schulen dagegen gibt es flächendeckend.
Wenn dort Veranstaltungen von Freien Künstlern stattfinden sollen, ist mindestens eine begeisterte Lehrkraft nötig. Die Räumlichkeiten sind häufig Aulen oder Turnhallen mit wenig eigenem Flair.
Als mobile Bühne hat man jedoch die Möglichkeit, sich den eigenen theaterwürdigen Raum zu schaffen. Der Bühnenaufbau selbst, der ruhige Hintergrundvorhang, die Form der Bestuhlung – all das hilft dabei, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fokussieren. Bewährt haben sich auch lichtdichte Planen, um störende Fenster zu verdunkeln.
Kitas stehen altersgerechten Inszenierungen durchaus offen gegenüber. Falls es an Platz oder an Geld mangelt, ist es oft sinnvoll, zwei Einrichtungen in einer Vorstellung zusammenzufassen und etwa auf ein Dorfgemeinschaftshaus auszuweichen. Einige Freie Bühnen inszenieren auch speziell für kleine Räume.
Auf den Dörfern selbst sind es vor allem ehrenamtliche Kunst- oder Kulturvereine, die für Theater, Musik, Lesungen und Ähnliches sorgen. Sie sind mittendrin, kennen die Vorlieben der Einwohner und setzen auf persönliche Ansprache, statt sich ausschließlich auf Flyer und Plakate zu verlassen.
Kirchengemeinden können ebenfalls dankbare Kooperationspartner sein, zudem verfügen sie über Räumlichkeiten und natürlich als besondere Spielorte über die Kirchen selbst.
Unter Umständen veranstaltet die freiwillige Feuerwehr jährliche Feste, auf denen künstlerische Darbietungen integriert werden könnten – manchmal sind es Chöre, manchmal Sportvereine oder die Volkssolidarität. Dörfliche Flohmärkte, Gartenstaudenaktionen, Kinderkleidertausch … alles Chancen für ein kulturelles Begleitprogramm.
Die jeweiligen Auftrittsorte können überraschend ausfallen. Für Kultur auf dem Land sollte man ein wenig um die Ecke denken, sich umhören, dabei sein, Kontakte knüpfen – und seine Aufbauten flexibel halten.
Mit den Delegierten der Freien Szene Saar haben wir auf der rÜBERBLICK-Tour durch M-V
verschiedene Arten von Spielorten besucht.
Institutionelle Einrichtung
Das Kornhaus Bad Doberan ist ein Soziokulturelles Begegnungszentrum für Bürger aller Altersgruppen mit Kunstschule, Umweltbildungsstätte und vielfältigem Veranstaltungs-Angebot. Außerdem ist eine Herberge angegliedert, in der unsere Projektgruppe übernachten konnte.
Der Saal im Hauptgebäude ist verdunkelbar und enthält flexible Bestuhlung. Die Mitglieder des LAFT-MV zeigen regelmäßig ihre Inszenierungen dort.
In naher Zukunft soll die gegenüberliegende Ruine transparent überdacht werden, so dass ein wettergeschützter Open-Air-Spielort dazukommt.
Freies Theater mit eigenen Spielstätten
Unser erstes großes Projektmeeting mit Zoom fand im Klostergarten Rostock auf der Sommerbühne des Freien Theaters „Compagnie de Comédie“ statt. Sowohl die ansteigende Zuschauertribüne als auch die Bühnenpodeste sind überdacht, es kann also auch bei Regen gespielt werden, was von den Rostockern gerne angenommen wird. Licht- und Tontechnik ist ebenfalls vorhanden, lediglich die Dixi-Toilettenlösung ist verbesserungsbedürftig.
Im Herbst wird alles abgebaut und die Aufführungen in die BÜHNE 602 verlegt. Dort gibt es einen ausgestatteten Theatersaal, ein Foyer mit Gastronomie, Garderoben, Werkstatt, Fundus und Büros.
Der Spielplan in- und outdoor enthält Inszenierungen des eigenen Ensembles, Gastspiele aus verschiedenen Sparten und mehrere thematisch unterschiedliche Festivals.
Gehöft eines Künstlers mit Unterstützung eines ehrenamtlichen Vereins
Für das zweite große Projektmeeting hatten wir das abgelegene Gehöft in Passentin gewählt. Es gehört dem Puppenspieler und Ausstatter Stephan Rätsch. Das ehemalige Wirtschaftsgebäude beherbergt nun im Erdgeschoss mehrere atmosphärische Räume für Ausstellungen und kleinere Veranstaltungen. Auf dem noch etwas rohen Dachboden steht die gesamte Grundfläche zur Verfügung, ein breites Bühnenpodest ist eingebaut und trotzdem gibt es viel Platz für Zuschauer.
Dazu kommt das weitläufige Außengelände, das bei gutem Wetter ebenfalls genutzt werden kann.
Der Kunst- und Kulturverein simsalArt e.V organisiert hier kleinere und größere Workshops und Events, oft als Veranstaltungsreihen konzipiert, in den Bereichen Theater, Musik, bildende Kunst und Literatur. Um langfristig als kultureller Treffpunkt zu bestehen, setzt man auf Kontinuität und weitet die Aktivitäten auch in die nähere Umgebung aus.
Kultur auf der Tenne einer Künstlerin
Die Familie der Puppenspielerin Dörte Kiehn lebt ebenfalls auf einem ehemals bäuerlichen Anwesen.
Die Tenne ist nicht riesig, nach ihrer Aussage der Dorfgröße angepasst. 40 bis 50 Menschen passen zusätzlich zur Bühne durchaus hinein.
Dörte Kiehn hat selbst die Initiative ergriffen und kulturelle Veranstaltungen auf ihrem Hof ins Leben gerufen. Dazu gehören z. B. sommerliche Dorffeste mit Programm, Theateraufführungen, Bastelnachmittage, Open-Air-Kino aber auch Winterkino für Kinder im Schlafsack, als die Tenne noch nicht heizbar war …
Dörte Kiehn passt ihre Aktivitäten der Lebenssituation an und verbündet sich jeweils mit Gleichgesinnten aus der Umgebung. Umgekehrt hilft sie aus, wenn andere ihre Ideen umsetzen wollen. So gibt es auf der Tenne einen Schrank mit Geschirr für 80 Personen und mehrere Bierzeltgarnituren, die von den Dorfbewohnern jederzeit ausgeliehen werden können.
Die Kombination von Eigeninitiative und das zur Verfügung stellen von größeren Räumlichkeiten ist auf dem Land in M-V häufiger zu finden. Ein weiteres Beispiel ist die Scheune von Enno & Petra Möller in Schwarzenhof, in welcher die Projektgruppe den letzten Abend verbrachte.
Synergieeffekte durch Hinzuziehen von weiteren Künstlern
Einen interessanten Weg ist Coco Radsack gegangen. In einem alten städtischen Fachwerkhaus gründete sie 2008 „Das Kontor“ Schwerin und eröffnete darin ihre Schmiedewerkstatt, in der sie auch Lehrlinge ausbildet. Das Besondere ist die Bereicherung durch weitere Künstler, die ihre Werke im „Kontor“ ausstellen und verkaufen oder auch mal Konzerte geben. Ein Kunstschmied und Maler gehört dazu, die Musikerin und Malerin Marta Olejko, die zudem LAFT-MV-Mitglied ist, eine Grafik-Designerin und ein Bildhauer. Aus dem Kontor ist ein Kunst(kauf)haus geworden. Der Vorteil für alle liegt auf der Hand, weit mehr Interessierte finden den Weg ins Haus, als es bei jedem einzelnen Künstler der Fall wäre.
Ein Spielort muss nicht zwingend ein Gebäude sein.
Auf der Tour durch M-V fand vieles unter freiem Himmel an öffentlichen Orten und in der Natur statt.
Die Geografin Evelin Kartheuser hielt ihren Vortrag z. B. an der Steilküste und im Gespensterwald von Nienhagen.
Der Stelzen-Walkact von Sven Lange als Bademeister führte zum angrenzenden Strand und sogar bis in die Ostsee.
Die Ruine der Wüsten Kirche Domherrenhagen diente als Bühnenbild zur Miniaturoper „Die Wassermuhme“ vom Musik Theater Cammin.
Bei solchen Events sollte man sehr mobil und unabhängig von Strom sein. Selbstverständlich sorgt man dafür, dass nichts zerstört oder liegenlassen wird. Zum Teil muss vorher eine Genehmigung eingeholt werden, oder man nimmt die entsprechenden Stellen zu beidseitigem Nutzen gleich mit ins Boot.
Bei unseren Aktivitäten fühlten sich zufällige Besucher nicht etwa gestört, sondern freuten sich über die unverhofften Vorstellungen und sahen interessiert zu. Bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum ist in dieser Hinsicht immer Fingerspitzengefühl gefragt.
Wir hatten Glück mit dem Wetter und die Gruppe war mit ca. 12 Personen relativ klein.
Werden es deutlich mehr Zuschauer oder ist Regen zu erwarten, wird man andere Orte, Konzepte und Kooperationen finden.
M-V ist voll von noch unentdeckten Möglichkeiten und das Saarland sicher auch.
